6 Mütter: Ute Lemper im Interview

Ob mit Musicalauftritten oder Konzerten auf internationalen Bühnen, zahlreichen Musikplatten oder ihren Filmrollen – seit fast drei Jahrzehnten begeistert Ute Lemper das Publikum mit ihrer künstlerischen Vielfalt. Neben ihrer Ausnahme-Karriere managt die preisgekrönte Wahl-New-Yorkerin auch ihre Familie mit vier Kindern und zeigt nun ihr Familienleben bei "6 Mütter".

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© 6 Mütter: Ute Lemper VOX / Boris Breuer

Ute Lemper im Interview

Was hat Sie an dem Projekt "6 Mütter" gereizt?

Man weiß relativ wenig über mein Privatleben, dafür mehr über mein Künstlerleben. Und doch ist mein Leben als Mutter von vier Kindern zentral. Ich dachte mir also, es sei an der Zeit, einen kleinen Einblick in das zu geben, was mich so ticken lässt: nämlich meine Familie. Das Private, sprich das Familienleben mit meinen Kindern, ist die größte Herausforderung für mich und das seit gut 22 Jahren, denn solange bin ich schon Mutter. Eine Balance zwischen Karriere und Familie zu erreichen, ist eine schwierige Angelegenheit und bedeutet Kompromisse auf beiden Seiten. Ich dachte, es sei mal ganz interessant einen Einblick zu gewähren, vor allem weil ich zwei Generationen von Kindern habe. Einmal die Erwachsenen, die über das Leben zu Hause mit einer berufstätigen, auf Tournee befindlichen Mutter sprechen können und reflektieren können, wie das alles abgelaufen ist. Und dann haben wir noch die zwei kleinen Kinder, mit denen diese Balance noch aktiv geübt werden muss.

Was macht dieses Format so besonders?

Es ist auf jeden Fall keine Reality-Show, in der irgendwelche Katastrophen dokumentiert werden. Im Gegenteil: Es ist eine ganz elegante Sendung, in der ein seriöser Einblick in die Herausforderungen sechs berufstätiger Mütter mit gewissem Bekanntheitsgrad gegeben wird. Mütter, die in den Bereichen Sport, Theater, Schauspiel und Kunst eine berufliche Verantwortung leben und versuchen, die Balance zu finden. Wir hatten ein Kamerateam in unserem Haus, welches unsere Alltagsroutine dokumentiert hat: Das familiäre Aufstehen, wie wir Frühstück machen, die Kinder zur Schule bringen, wie sie Hausaufgaben machen oder ihren diversen Hobbies nachgehen – aber auch wie wir miteinander Sprechen und allgemein der Austausch innerhalb der Familie. Auf der anderen Seite dokumentiert das Team mein Berufsleben, welches immer parallel existiert. Ein Sendungs-Konzept, mit dem sich viele Mütter identifizieren werden können, die diese Herausforderung bewältigen müssen.

Wie würden Sie Ihren Erziehungsstil beschreiben?

Sicherlich war das erste Mal Mutter zu werden für mich ein Abenteuer. Da habe ich mich öfters gefragt: „Was mache ich jetzt? Wie ist das zu erklären?“ Wenn man die Kindererziehung dann ein paar Mal mitgemacht hat, merkt man, dass in Momenten des Zweifels nicht so viel Panik entwickelt werden muss. Und vor allen Dingen, dass man das Verhalten der Kinder viel besser erklären kann − das ist eine ganz wichtige Sache im Laufe der Kindergenerationen. Man erkennt dann, wenn Kinder aufmüpfig sind oder mal ausrasten, dass das auf einer ganz bestimmten Frustration des Kindes gründet. Sei es Müdigkeit, Hunger oder einfach die Unzufriedenheit mit sich selbst oder einer bestimmten Situation. Ich kann mittlerweile mit diesen kritischen Momenten viel besser umgehen, sie erklären und vor allen Dingen niemals gegen das Kind selbst halten, sondern gegen die Situation in der es in diesem Moment steckt. Zu Beginn meiner Mutterschaft habe ich eher intuitiv und aus dem Stehgreif gehandelt. Im Prinzip hat sich der Erziehungsstil seitdem nicht geändert, da ich ein progressiver und liberaler Mensch bin. Ich möchte den Kindern immer ermöglichen, dass sie Begeisterung in sich fühlen, entwickeln und zeigen. Auch, dass sie Spaß haben und eher auf der freudigen Seite des Lebens stehen, als auf der unterdrückten, in der sie sich pflichtgemäß verhalten müssen. Mein intuitiver Erziehungsstil bedient die Intuition des Kindes. Wenn ich zurückschaue, hat das bei meinen erwachsenen Kindern, die schon an der Uni sind, sehr gut funktioniert. Beide sind sehr reife Menschen. Menschen, die ein gutes Gefühl für ihr eigenes Selbstbewusstsein entwickelt haben – aber auch für Integrität und Toleranz, im Sinne von politischem und sozialem Verständnis. Das liegt natürlich auch an der Tatsache, dass wir in New York leben, einer wirklich multikulturellen und vielfältigen Stadt, in der extreme soziale Schichten präsent sind, mit denen die Kinder aufgewachsen sind. Das hat ihnen eine wirklich unglaublich unprovinzielle Realität geschaffen, durch die sie dann ihr eigenes Weltbild entwickeln konnten. Und genau das finde ich besonders gut! Ich persönlich bin in den 60er/70er Jahren in sehr provinziellen Verhältnissen in Münster aufgewachsen. Ich habe stark an mir arbeiten müssen, mir genau diese Sichtweise abzugewöhnen und mich in das Gegenteil umzukehren. Diesen Schritt mussten meine Kinder nicht gehen, die sind mit dieser offenen Weltsicht aufgewachsen und haben in ihrem Alter schon ein tolles, progressives und sehr freies Weltbild.

Was war Ihre bisher schwierigste Situation als Mutter?

Es gibt dieses Sprichwort: "Es bedarf ein ganzes Dorf, um ein Kind groß zu ziehen." Im Englischen klingt das besonders gut "It takes a village to raise a kid". Aber es ist tatsächlich so, dass viele Einflüsse auf das Kind einwirken. Die Mutter ist zwar wichtig für die Bindung, das Kuscheln, tiefstes Urvertrauen und die Liebe, aber da kommen noch andere Parteien dazu wie der Papa, die Geschwister, die Schule, Gesellschaft, Nachbarn oder die Welt, die sie um sich herum sehen. All diese Faktoren beeinflussen das Aufwachsen des Kindes und darauf muss man als Mutter vertrauen. Es ist wichtig, dass Kinder viele Einflüsse haben und man ihnen nicht nur die Mutter als einzige Bezugsperson anbietet, sondern mehrere. Ab einem Alter von drei, vier Jahren sollten sie sich auf viele Elemente im Leben verlassen können, die sie beeinflussen und inspirieren. Als Mutter bin ich das Gerüst, sozusagen das Rückgrat und der Felsen unserer Familie. So verstehe ich mich selbst und mein Mann würde diese Behauptung unterschreiben. In Krisen- und Konfliktsituationen kann ich ein festes und sicheres Gefühl vermitteln − die Sicherheit, dass ich immer für sie da bin. Auch wenn sie mal Scheiße gebaut haben, was öfter mal passiert. Vor allem bei Teenagern und selbst im Uni-Alter kommt das vor. Ich vermittle das Gefühl, dass ich da bin, alles diskutiere, aber auch hinterfrage. Ich lasse sie beim Erwachsenwerden Dinge ausprobieren, die auch Teil des Teenager-Lebens sind. Ich setze also keine Tabus, sondern rufe auch immer wieder dazu auf, alles in Maßen zu tun. Gleichzeitig müssen sie aber auch in der Lage sein, es später zu beurteilen. Gerade Teenagern kann man ihre Erfahrungen auf Partys mit Alkohol nicht verbieten. Da ist Aufklärung ganz wichtig, in der man klarstellt: "Trinkst du zu viel, passiert das und das mit dir. Du verlierst vielleicht deine Urteilskraft, du wirst aggressiv und unbesonnen." Auch das Thema Drogen, zu denen es aktiven Zugang auf Schulen gibt, muss deutlich besprochen werden. In dem Fall sollte es bei einem Ausprobieren bleiben und darf keinesfalls zur Routine werden. Hier darf man auch schon mal ein wenig kontrollieren und immer wieder zur Gesinnung aufrufen. Auch in meiner eigenen Jugend musste ich mich ausprobieren und sehen, was geschieht. Mit meinen erwachsenen Kindern trinke ich gern mal ein Glas Wein. Rauchen ist natürlich nicht gesund, aber auch das werde ich nicht verbieten. Ich bin weder bürokratisch noch katholisch-konservativ, sondern das Gegenteil: Sehr liberal, auch bei meinem eigenen Lebensstil. Ich bin abenteuerlustig, neugierig, verrückt – auch ausflippen gehört mal zum Leben dazu. Gerade als Künstlerin bleibt man immer an dieser Ader von Spontanität und Impulsivität dran, um einfach die Freiheit zu haben, ein Repertoire an Geschichten zu erleben. Diese kann man dann auch auf der Bühne authentisch darstellen und muss sie sich nicht nur kognitiv vorstellen. Man muss als Künstler in das Leben reinfallen können und dieses Reinfallen auch als Mensch bewerkstelligen. Ich liebe es, mich einfach mal auf das Leben einzulassen.

Muttersein ist oft eine Achterbahn der Gefühle – was macht Sie glücklich, was bringt Sie zur Verzweiflung?

Mich macht besonders unsere Gemeinschaft, also unser familiärer Zusammenhalt, glücklich. Das fühle ich besonders jetzt mit den unterschiedlichen Generationen in unserer Familie. Ich kann mich immer auf meine Kinder verlassen, wenn zum Beispiel Not am Mann ist, was den Kleinsten betrifft. Dann kann ich Max (ältester Sohn) immer fragen, ob er das zu Bettbringen übernimmt oder Stella (älteste Tochter) bringt den Kleinen zur Schule, wenn sie nicht an der Uni ist. Wir besprechen Konflikte, die im Leben existieren – einfach alles. Wir haben eine unglaubliche Freundschaft zwischen den älteren Generationen und das überträgt sich auf die anderen. Unser Zehnjähriger, Julian, ist auch schon sehr reif und unglaublich an die älteren Kinder gebunden.
Aber auch unser Dasein als Patchwork-Familie ist besonders. So springt zum Beispiel mein erster Mann oft ein, indem er die Kleinen zur Schule bringt oder auf sie aufpasst, wenn ich mal auf Tour bin. Wir sind zwar keine besten Freunde, aber er ist trotzdem sehr nah an meine zweite Kindergeneration gebunden. Wir stehen gemeinsam da und das fühlt sich toll an! Ich lebe, so gesehen, in einem fremden Land und bin dementsprechend nicht von meiner Familie umgeben. Meine Eltern sind weit weg, mein Bruder und meine Cousins sind auch in Deutschland. Ich lebe hier ohne Familie. Die Eltern meines Mannes sind schon sehr alt und können nicht mehr wirklich mithelfen. In dem Sinne sind wir schon auf uns selbst gestellt. Dieses Bündnis, das wir miteinander haben, hilft uns dabei. Ich habe hier jetzt im metaphorischen Sinne meinen Samen gepflanzt und einen großen Garten angelegt, mit meinen vier Kindern, sodass sie sich in Zukunft gegenseitig haben und miteinander ein großes Familiennetz aufbauen können, das ich eben nicht hatte.

Auf welche Mutter waren Sie am meisten gespannt?

Ich war eigentlich auf alle gespannt. Besonders auf die Athletinnen Anni Friesinger-Postma und Christina Obergföll. Ich liebe Sportler und für die meisten ist es nicht einfach die Balance zwischen Kind und Training zu halten, was diese zwei Mütter auch zugegeben haben. Aber genauso interessant waren Nina Bott, Dana Schweiger und Wilma Elles, die mit ihrem Mann in der Türkei wohnt und die Kinder mit der islamischen Religion in Kontakt bringt. Tolle Frauen, mit denen es sehr anregend war, die Realität des Mutterdaseins zu besprechen.

Welche andere Mutter hat Sie am meisten überrascht?

Besonders faszinierend fand ich es, Christina zuzuhören. Weil sie mit dem Konflikt zu kämpfen hatte, durch ihr Training für Olympia nicht für ihren Kleinen da sein zu können und der gleichzeitigen Frustration, dass er dadurch mehr an den Papa gebunden ist als an sie. Diese Schuldgefühle, die sie entwickelt hat, gab es vor zwanzig Jahren bei mir genauso stark − wenn ich zum Beispiel Konzerte gegeben habe oder mich nicht um den kleinen Max kümmern konnte, weil ich auf Tour war. Das war schon sehr herzergreifend. Dana und ich hatten am meisten miteinander auszutauschen, weil wir schon große Kinder haben. Im Großen und Ganzen waren wir aber eine homogene Gruppe an Müttern. Unsere Erziehungsstile haben sich nicht besonders unterschieden. Wir sechs sind alle liberale, progressive und emanzipierte Power-Frauen. Keine von uns ist hochreligiös oder ein konservatives Heimchen. Da gibt es keine große Unterscheidung in unseren Erziehungsstilen. Einzig die unterschiedlichen Generationen an Kindern. Den einen steht der große Erziehungsberg noch bevor und ein paar von uns haben es schon hinter sich.

Werden Sie als Mutter nach diesem Projekt etwas an Ihrer Erziehung ändern?

Natürlich nicht. Ich bin ja sowieso die älteste der Mütter gewesen, die auch schon erwachsene Kinder hat. Insofern bin ich stolz, wie alles bei mir gelaufen ist und gehe nach wie vor diesen intuitiven und liberalen Weg mit meinen zwei jüngeren Kindern.

Sie sind mit 48 noch einmal Mutter geworden – warum haben Sie sich nochmal für ein Kind entschieden?

Ich wollte unbedingt ein viertes Kind haben, weil ich bereits zwei Generationen an Kindern hatte. Max und Stella sind mit zwei Jahren Unterschied sehr nah beieinander. Julian war sozusagen fast Einzelkind, als er vor über zehn Jahren geboren wurde. Da haben wir uns gedacht: "Mensch, da machen wir ihm noch ein Geschwisterchen, damit es noch jemanden gibt, mit dem er tagtäglich hier im Haus zu tun hat." Ich denke, es ist sehr schön, mit Geschwistern aufzuwachsen. Im Grunde wollten wir das Nest noch vollhalten, weil es so wunderschön ist und wir haben es keine Sekunde bereut. Jonas ist nochmal zum süßen Kern unserer Familie geworden und wird von allen ganz besonders geliebt.

Was ist der größte Unterschied zwischen Ute Lemper auf der Bühne und Ute Lemper zu Hause?

Da gibt es keine großen Unterschiede. Ich bin ein freier Mensch auf der Bühne und zu Hause ebenso. Wobei das Leben dort wesentlich routinierter ist. Man muss sich an bestimmte Planungen halten, weil es das ist, was Kinder brauchen: Ein Gerüst im Leben durch ein gewisses Zeitmanagement. Auf der Bühne ist das alles ein wenig offener. Aber ich bin sowohl als Mutter, als auch auf der Bühne ein leidenschaftlicher Mensch. Und diese Leidenschaft ermögliche ich auch den Kindern. Vielleicht ist das sogar meine Aufgabe als Mutter: Den kleinen Künstler in den Kindern zu finden. Meine Tochter ist jedoch Literaturspezialistin und mein Sohn geht in Richtung Investment – bei denen hat der Künstlerzugriff also nicht geklappt. Mal sehen, was mit den Kleinen passiert.