Von Kathrin Pleiss

Ein malerisches Städtchen in Japan. Meer, Boote, Touristen - auf den ersten Blick kein Stoff, aus dem sich ein spannender Doku-Thriller machen lässt. Doch die Idylle in Taiji trügt. Der Ort hat ein dunkles Geheimnis. Die Bucht färbt sich von September bis März einmal täglich blutrot, denn dort werden jedes Jahr 23.000 Delfine grausam abgeschlachtet. Die Tiere, die nicht für horrende Summen an Delfinarien verscherbelt werden, erhalten den Todesstoß und wandern in die Lebensmittelverarbeitung weiter. Und das, obwohl Delfinfleisch nachweislich hochgradig mit Quecksilber verseucht ist. Nur die schönsten Delfine überleben das Gemetzel in der Bucht, müssen aber ihr fortan ihr Dasein als Zoo-Attraktion in Unfreiheit fristen – der Löwenanteil hat überhaupt keine Chance.

Aber niemand spricht darüber. Niemand berichtet darüber. Denn Besucher oder gar Fotografen und Kamerateams sind in der Taiji-Bucht unerwünscht. Stacheldrahtzäune, Warnhinweise und Wachpersonal schotten die Todeszone vor der Öffentlichkeit ab. Auch die japanischen Fischerbehörden und die Regierung vertuschen gezielt die grausame Abschlachtung der Tiere, denn sie sind eine wichtige Einnahmequelle.

Ric O’Barry jedoch hat sich zum Ziel gesetzt, das Massaker an den Delfinen an die Öffentlichkeit zu bringen. Einst war er der Trainer des beliebten TV-Delfins ’Flipper’. Höchstpersönlich fing er die fünf Tier-Darsteller ein, trainierte Tricks mit ihnen und machte so die intelligenten Meeressäuger weltweit berühmt. Zehn Jahre lang - bis ein tragisches Ereignis sein Leben veränderte. Einer der Flipper-Delfine beging in O’Barrys Armen Selbstmord, weil er das Leben in Gefangenschaft nicht mehr ertragen konnte. Von diesem Moment kehrte O’Barry der Delfinarien-Industrie den Rücken. Seit 38 Jahren ist er heute einer der führenden Köpfe im Kampf gegen den Missbrauch von Meeressäugern und gilt als ausgewiesener Delfin-Experte. Er hat hunderte der Tiere aus Gefangenschaft befreit und landete für seine Rettungsaktionen schon mehrere Male im Gefängnis.

Zusammen mit Regisseur Louie Psihoyos ist O’Barry mit dem Film ’Die Bucht’ jetzt wohl der bislang größte Coup gelungen. Erstmals hat er es geschafft, gemeinsam mit einem Spezialisten-Team, Filmaufnahmen von dem Delfinmassaker in der Bucht in Taiji zu drehen. Der Film dokumentiert O’Barrys gefährlichen Weg.

Man muss schon erfinderisch sein, um unentdeckt in der verbotenen Zone drehen zu können. Also rekrutieren O’Barry und Psihoyos zwei der besten Apnoetaucher der Welt, einen Special-Effects-Profi aus Hollywood, einen Freesurfer sowie einen Unterwasser-Kamerafachmann und einen Logistik-Experten.

Mit einer Armada an High-Tech-Equipment reist die Gruppe nach Taiji und tüftelt einen Master-Plan aus. Dabei wird sie permanent von Polizei, Mafia und den örtlichen Fischern verfolgt.

Die unter Lebensgefahr entstandenen Bilder schockieren, und Ric O’Barry scheut sich auch nicht davor, sie der Internationalen Walfangkommission zu präsentieren. Die hat zwar ein weltweites Verbot zur kommerziellen Tötung von Walen erlassen, die Regelung gilt aber nicht für Kleinwale. Somit darf weiterhin Jagd auf Delfine gemacht werden. Für Ric O’Barry ist das ein absolutes Unding. Er will aufklären, und von nun an werden die Behörden ihre Augen nicht mehr vor der Grausamkeit in der Taiji-Bucht verschließen können.

’Die Bucht’ ist kein klassischer Dokumentarfilm. Vielmehr gelingt es Louie Psihoyos, eine Thriller-Atmosphäre zu kreieren. Immer wieder wird dabei der Spannungsbogen von Naturaufnahmen oder Interviews unterbrochen. Doch der Film schockiert nicht nur mit seinen blutrünstigen Massaker-Szenen. Die Delfine werden auch in ihrer natürlichen Umgebung gezeigt, Ric O’Barry und andere Delfin-Experten schildern ihre Erlebnisse mit den Tieren. Der Ex-Trainer von Flipper kommentiert dabei pointiert, unkompliziert und sehr sympathisch.

Auf diese Weise wird ’Die Bucht’ zu einer perfekten Mischung aus Thriller, Abenteuerfilm und Dokumentation. Durch die unterschiedlichen Erzählstrukturen kommt zu keiner Zeit Langeweile auf, und nach dem spannenden Finale des Films werden sicherlich viele Zuschauer ihre Essgewohnheiten überdenken. Achtung: Für extrem Zartbesaitete und Kinder ist dieser Film aufgrund der ungeschönten Gewaltdarstellungen ungeeignet.