Das exklusive Interview mit dem Graf von Unheilig - Teil ll

"'Lichter der Stadt' ist mein Tagebuch"

Wenn man deine alten CDs hört, dann ist es ja schon so, dass deine Musik damals anders war, härter. Die Texte sind teilweise auch ganz anders. Würdest du sagen, dass es eine organische Entwicklung von damals bis zu „Lichter der Stadt“ war, hat sich das einfach so entwickelt, dass du heute anders klingst?

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Das ist wahnsinnig lustig, dass du das jetzt fragst! Wir haben ja drei Clubshows und ich muss jetzt alte Texte lernen, weil wir ganz alte Lieder spielen wie „Zauberer“ oder „Tanz mit dem Feuer“. Und wenn du Texte lernst, dann beschäftigst du dich noch einmal mit ihnen. Ich finde schon, dass ich früher mehr drum herum geredet habe, um es jetzt mal ganz hart zu sagen. Oder mehr Pseudonyme gesucht habe, um bestimmte Worte nicht verwenden zu müssen. Ich nenne es mal Mut zur Emotion, der früher von mir sicher als Verletzbarkeit angesehen wurde. Wenn ich mich weiter öffne, bin ich verletzbar. Das habe ich mittlerweile völlig verloren, ich bin da in der Beziehung inzwischen völlig offen. Musikalisch sehe ich allerdings keinen Unterschied. Nimm „Stark“ von der „Phosphor“, das haben wir gerade wieder bei einem Akustik-Konzert gespielt; das kannst du jetzt locker als neue Single veröffentlichen und jeder würde schreien: „Kommerz!“ Dabei ist das Ding 12 Jahre alt.

"Das Duett mit Xavier Naidoo war einfach cool!"

Die erste Singleauskopplung „So wie du warst“ ist sofort auf Platz zwei der Charts eingestiegen. Herzlichen Glückwunsch! Mich erinnert der Song inhaltlich schon ein wenig an „Geboren um zu leben“, oder?

Ja, ist klar. Aber „So wie du warst“ ist kein Nachfolger, das ist eine eigenständige Nummer. Hast du das Video gesehen mit den Kindern und dem alten Mann? Das ist die Geschichte von „Lichter der Stadt“. Ein Kind geht in die Großstadt, in die große weite Welt, und kommt als alter Mensch wieder zurück. Das Lied handelt davon, dass du von zu Hause weggehst und lange wegbleibst, aber deine Lieben immer im Herzen trägst – und irgendwann nach Hause kommst und dich freust, dass du wieder da bist. So war mein Leben die letzten zwei Jahre, ich bin immer nur unterwegs gewesen. Ich hatte Heimweh und habe meine Familie vermisst. Und jedes Mal, wenn ich nach Hause gekommen bin, kam es mir vor, als wäre ich Jahre weg gewesen. Das war die Inspiration zu „So wie du warst“. Aber ich wollte den Leuten da draußen natürlich auch zeigen, dass ich nach einem so erfolgreichen Album wie „Große Freiheit“ dort weiter mache, wo ich aufgehört habe und jetzt nicht mit englischem Jazz um die Ecke komme. Es gibt ja Künstler, die sagen, den Erfolg werden wir nie mehr toppen, jetzt wollen wir uns künstlerisch entfalten und machen was ganz anderes. Mir war klar, ich bleibe meiner Linie treu.

Du hast ein Duett mit Xavier Naidoo aufgenommen? Wie kam es dazu?

Weil „Lichter der Stadt“ ein Rückblick auf die letzten zwei Jahre ist, wollte ich darauf Künstler haben, die ich in dieser Zeit kennen gelernt habe. Ich habe Xavier bei ein oder zwei Veranstaltungen getroffen. Du kommst ins Gespräch, denkst dir, den findest du cool und stellst ihm dann die Frage, die man sich unter Musikern so stellt, wo aber normalerweise nie was draus wir: „Sollen wir nicht mal was zusammen machen?“ Und er hat gesagt: „Klar, sicher, wäre mir eine große Ehre!“ Ich habe ihm den Song „Zeitreise“ geschickt und am nächsten Tag kam eine Mail zurück. Er hatte seine Parts selber getextet, die Chöre schon abgemischt – so etwas Professionelles habe ich noch nie erlebt! Super, wenn einer sagt, ja, ich mache das und sich dann so reinkniet und so viel Herzblut reinsteckt. Das war einfach cool. Das sind schöne Erfahrungen, die man machen kann, die genieße ich sehr.

Du schlägst also sozusagen Brücken zwischen den Musikwelten? Nicht nur durch Duette wie dieses, wenn man auf deinen Konzerten ist, sieht man ein sehr gemischtes Publikum. Wieso meinst du, verbindet gerade deine Musik Menschen aus ganz unterschiedlichen Richtungen?

Ich hab immer gesagt, dass ich keinen Unterschied mache. Es gibt viele Szenebands, die sich von der Szene abwenden. Ich bin aber ein Mensch, der ist stolz darauf, wo er herkommt. Ich trage das auch nach außen, indem ich bei jeder Tour Bands aus der Szene als Support mitnehme. Ich versuche immer den Menschen, die Unheilig kennen lernen, ein bisschen zu zeigen, was unser Background ist. Ich weiß, dass das von den ganzen Unheilig-Hassern aus der Szene gar nicht wahrgenommen wird, aber das ist mir egal, ich mache das trotzdem. Und ich merke auch, da hast du völlig Recht, dass die ersten Reihen immer noch „schwarz“ sind. Ich kenne die Menschen, die da unten stehen, alle, denn sie begleiten mich schon seit acht Jahren. Wir haben ungefähr zehn Fanclubs, die alle aus der Gothic-Szene kommen. Die müssen nicht alles gut finden, trotzdem gehen sie den Weg mit. Und die sind so weltoffen, dass auch jemand, der nichts mit der Szene zu tun hat, auf Unheilig-Konzerte gehen kann. Ich bin felsenfest überzeugt, dass diese Fans nicht blöd angeguckt werden. Wie cool ist das? Das ist doch das, was man sich wünscht! Wenn du so sein kannst, wie du eben bist. Und wenn du anders bist, dann kannst du trotzdem frei sein. Gerade die Gothic-Szene kann doch stolz darauf sein, was sie repräsentiert. Ich habe so schöne Erlebnisse in dieser Szene gehabt, ich rede da nie negativ drüber. Die Leute sollen ruhig ihre Meinung haben und das schlecht finden, akzeptiere ich. Du polarisierst halt, aber wenn du was Neues schaffst, neue Wege gehst, die keiner kennt, dann brauchst du eigentlich genau so eine Reibung für das Durchhaltevermögen, um weiter zu machen. Wie der „Eisenmann“ von meiner neuen CD, gehst du immer weiter deinen Weg, weil es eben dein Weg ist.