Droge Motorsport?
Ein bisschen bescheuert sind sie doch alle. Können den Hals einfach nicht voll kriegen. Adrenalinjunkies, heißt es schon. Voll auf Droge. Droge Risiko. Droge Geschwindigkeit. Droge Motorsport. Und wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis. Namentlich: Robert Kubica.

Formel-1-Fahrer, Geheimfavorit 2011 - das sollte eigentlich reichen. Reicht aber nicht. Ein Formel-1-Grand-Prix ist doch eine Kaffeefahrt im Vergleich zu einem Lauf zur Rallye-Weltmeisterschaft. Zumindest aus Pilotensicht. Der Pole Kubica wird das bestätigen - trotz seines schlimmen Unfalls bei der Rallye Ronde di Andora in Italien. Was er da zu suchen hatte? Eigentlich nichts. Fußballprofis kriegen von ihren Klubs nicht mal die Erlaubnis zum Skifahren, der Verletzungsgefahr wegen. "Die Suche nach der inneren Balance", begründet tatsächlich sein Teamchef Eric Boullier Kubicas Rallye-Engagement, deshalb habe er sein Okay für diesen Ausflug gegeben. "Rallye ist Robert lebenswichtig." Wie zynisch. Beinahe hätte ihm Rallye das Leben gekostet.
Anderen geht es ähnlich. Dem Finnen Kimi Räikkönen zum Beispiel. Wann immer Zeit ist, greift auch der ehemalige Formel-1-Weltmeister ins Lenkrad bei den Kollegen der Abteilung Querfeldein. Mittlerweile ist viel Zeit. Räikkönen hat, freiwillig oder nicht, der Formel 1 den Rücken zugekehrt, er fährt stattdessen Rallyeautos durch die Landschaft. Aus gewöhnlich gut informierten Kreisen ist zu hören, er habe darüber sein Lachen wiedergefunden. Die gleichen Kreise berichten aber auch von mehreren Überschlägen des Finnen, allesamt mit glimpflichem Ausgang. "Iceman" haben sie ihn in der Formel 1 nur gerufen: gefühlskalt, berechnend, unnahbar. Jetzt hat er wieder Feuer, lebt er wieder auf, sagt er. Das Herz des Motorsports, die wahre Herausforderung und der eigentliche Kick sind ganz woanders zu finden: im Gelände.
Schumi schwang sich aufs Motorrad

"Oder auf dem Motorrad", könnte Michael Schumacher einwerfen. Nach sieben WM-Titeln in der Formel 1 tritt er ab, doch statt sich endlich auszuruhen, schwingt er sich alsbald auf ein Motorrad. Und das nicht etwa zum Cruisen. Er musste in ernsthaften Rennen erst ein paar Mal, pardon, ernsthaft auf die Schnauze fallen, um schließlich dem großen Publikum kundzutun: Motorsport ist nicht gleich Motorsport. Selbst ein Formel-1-Weltmeister hat auf zwei Rädern nichts mehr zu kamellen. Die Haare nähern sich der ersten Graustufe, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, die Ehefrau reitet Rodeo und er manchmal mit.
Das Leben ist ruhiger geworden für Schumacher, trotz seiner wundersamen Rückkehr in die Formel 1. Jetzt gibt es auch zuhause keinen Ärger mehr, wenn er sich auf den Weg zur Arbeit macht. Corinna kann ihren Michi in Sicherheit wiegen, in der Formel 1 ist diesbezüglich für alles gesorgt. Die Teams müssen in puncto Sicherheit so viele Auflagen erfüllen, dass die Konstrukteure regelmäßig maulen, mosern, meckern, doch jeder Crash ruft sie zur Ordnung und zur Einsicht, lässt sie zumindest in Gedanken Dankesbriefe schreiben an FIA-Boss Max Mosley, an Rennleiter Charlie Whiting, an jeden, der zuständig ist, der sich offenbar verantwortlich fühlt für das Leben und die Sicherheit des fahrenden Formel-1-Personals. Ob strenge Crashtests oder der Genickschutz HANS: Sie haben mit ihren kompromisslosen Auflagen so manches Fahrerleben gerettet. Namentlich - da ist er ja wieder - das von Robert Kubica.
Es ist noch gar nicht lange her: 2007 beim Grand Prix von Kanada, da lieferte der Pole dem zahlenden Publikum in Montreal und an den Fernsehgeräten weltweit, mithin den übertragenden Fernsehsendern die Bilder, die jedem von ihnen, von uns zumindest kurz den Atem stocken ließen. Es war Tempo 280, es war ein BMW-Sauber, es war eine Betonmauer, an der sein Auto nach mehreren Überschlägen zerschellte.
Freude am Fahren?

Was für ein Spektakel, was für eine Quote, was für eine Heldensaga. Der Unfall hatte das Fahrzeug schon in der Luft zerfetzt, der Aufprall gab ihm den Rest. Nichts blieb, was und wie und wo es mal war, mit einer scheinbaren Ausnahme: Kubica entkam dem Wrack zwar liegend, aber wie ein Held - unverletzt und bester Dinge. Schnell den Daumen nach oben gereckt, soll sagen: Ihr könnt weiterfahren, weitergucken, weitersenden. Nichts passiert, ein paar Prellungen, okay, und ein Brummschädel, aber der war nicht bis auf die Tribüne zu hören. Dem Schicksal entkommen, dem Tod von der Schüppe gesprungen. Und die falschen Schlüsse gezogen.
Denn an dieser Stelle, in diesem Moment, entsteht die größte Gefahr: die Selbstüberschätzung. Jung-Robert wird zu Jung-Siegfried. Hält sich für unbesiegbar, will weiter, noch mehr Risiken begegnen, noch größere Gefahren besiegen, fühlt sich stark genug, dem Schicksal zu trotzen. Wie die Geschichte für Jung-Siegfried endete, ist allseits bekannt. Unter der Geschichte von Jung-Robert steht noch geschrieben: Ende offen. Er liegt im künstlichen Koma. Die Ärzte haben offenbar seine rechte Hand gerettet; es drohte schon deren Amputation. Kubica ist noch nicht wieder aufgewacht, da lässt sein neues Team den üblichen Genesungswünschen die nächste Dummheit folgen: Man wolle ihm sagen, ungeduldig werde auf seine Rückkehr gewartet.
Nachdenken ist kein Zeichen von Schwäche
Wie blöd. Geduld wäre jetzt erst mal klüger. Innehalten. Er lebt, er hat überlebt. Seine Hand ist noch nicht wirklich gerettet. Kein Mensch weiß, ob er jemals wieder in der Formel 1 wird fahren können. Mögliche Nachfolger scharren schon mit den Hufen. Stop! Nachdenken ist kein Zeichen von Schwäche. Das Schicksal hat offenbar sein Feigenblatt noch nicht gefunden. Doch es ist nahe dran, und es wird fündig, wenn Jung-Robert es weiter derart herausfordert. Er sollte wirklich nicht schneller fahren, als sein Schutzengel fliegen kann.